ULRICH SEIDL
„Im Keller“ im Keller
Eröffnung am Donnerstag 17. März, 19 Uhr
Zur Eröffnung spricht Marcello Farabegoli, Kurator der Ausstellung. Der Regisseur ist anwesend.
Pictures of the Opening
Pictures of the exhibition
Ausstellung 18.03.-23.04.2016
Öffnungszeiten Di-Fr 10-18 Uhr, Sa 10-16 Uhr
GPLcontemporary
Sonnenfelsgasse 6, 1010 Wien
www.peithner-lichtenfels.com
Wo könnten Ulrich Seidls Aufnahmen aus der Fotoserie „Im Keller“* besser situiert sein als an einem Ort, der den Schauplatz der Bilder mitreflektiert? Mit ihren Räumlichkeiten, die sich über zwei Kellergeschosse erstrecken, bietet die Galerie Peithner-Lichtenfels die idealen Voraussetzungen für Kunst, die man nicht nur präsentieren sondern auch formalästhetisch in den dafür passenden Rahmen setzen will. Man muss bei Peithner-Lichtenfels tief hinuntersteigen, um in die Bilderwelt des österreichischen Filmemachers einzutreten, die nicht nur in architektonisch-physischer sondern vor allem in psychischer Hinsicht in Untergründe führt.
Basierend auf seiner gleichnamigen Doku-Fiktion aus dem Jahr 2014 hat Ulrich Seidl aus rund 120.000 filmischen Einzelbildern 58 Aufnahmen für den Fotozyklus „Im Keller“ herausdestilliert. Eine Auswahl davon präsentiert nun Kurator Marcello Farabegoli bei GPLcontemprary. Im Herbst 2015 hatte Farabegoli drei Ausstellungsprojekte in Garagen mitinitiiert, um diese „Un-Orte“ als Stätten kreativer Schaffensprozesse zu thematisieren. Aus diesem speziellen Interesse am In-Eins-Setzen von einem künstlerischen Thema und dem Ort seiner Präsentation ist die Idee zu Ulrich Seidl „Im Keller“ im Keller hervorgegangen.
Seidl kam die Idee zu „Im Keller“ bereits während der Recherche zu seinem Film „Hundstage“ (2001). Erst danach sollten die Kriminalfälle Kampusch und Fritzl traurige Berühmtheit erlangen. In Österreich, so Seidls Eindruck, käme dem Keller in Wohnhäusern ein ungewöhnlich hoher Stellenwert zu. In der Heimat der Psychoanalyse kann man offensichtlich gar nicht anders als in die Tiefe zu graben und sich dort einzurichten. Nur unter der Oberfläche ist Selbstentfaltung, vor allem aber Selbstentgrenzung möglich. Der Keller steht somit sinnbildlich für das Ausleben unterdrückter Sehnsüchte, Begierden und Obsessionen. Hier scheint vieles von dem gut aufgehoben, das mit dem gesellschaftlichen Regelwerk unvereinbar ist. Seidls Diagnose führt daher nicht nur in Hobbyräume oder private Kellerbars, sondern in Räume, in denen Nazidevotionalien, Waffen und Jagdtrophäen gehortet werden sowie tabuisierten sexuellen Neigungen nachgegangen wird.
Für „Im Keller“ hat Seidl mit Laiendarstellern gearbeitet, die sich selbst spielen. Der Blick der Protagonisten weicht dem der Betrachter nicht aus. Das Beschämende und Hässliche mancher Szenen tritt uns in den eingefrorenen Standbildern völlig distanzlos gegenüber. Diese Direktheit ist verstörend, legt sie doch den Weg in unsere eigenen Abgründe frei. Im Keller, da verschanzen sich nicht nur die Perversen, die Gewalttätigen, die Rassisten. Im Keller verbergen wir unser Innerstes, unser Selbst. Seidl zeige mit „Im Keller“ die „bildgewordene Normalität des sogenannten Abnormalen“, konstatierte die Wochenzeitung Die Zeit. Es ist daher nicht das Skandalöse in den Aufnahmen, das uns schockiert, sondern der Effekt der Selbsterkenntnis, den ihre Betrachtung auslöst.
„Ich liebe es, hautnahe Bilder zu machen. Menschen in ihrer Physis ungeschminkt zu zeigen. Gerade darin, in dem Ungeschönten, liegt für mich so etwas wie Schönheit“, sagte Ulrich Seidl einmal. Diese besondere Schönheit zeigt sich in Seidels unverkennbaren Ästhetik, die vor allem durch symmetrische Kameraeinstelllungen besticht und mitunter an altmeisterliche Malereien denken lässt. Visueller Manierismus, das Erzeugen bloßer Effekte, ist Seidls Sache nicht. Seine tableaux, wie seine Bildeinstelllungen auch genannt werden, wirken deshalb niemals voyeuristisch oder gar pornografisch. Sie eröffnen vielmehr ein weites Feld an Assoziationen.
Die Kellertüren, die dahinterliegenden Treppen, die geheimnisvollen, labyrinthischen Gänge. Wohin mögen sie wohl führen? Zu vergessenen Schätzen, in Katakomben, in Folterkammern oder in die Höhlen von Bösewichten und Monstern? Vielleicht gelangt man über manche Keller gar bis zum Mittelpunkt der Erde? Oder zum mythologischen Hades, dem Reich der Toten, oder gar in die Hölle, wo wir, geradeso wie in Dantes „Göttlicher Komödie“, all unsere Sünden vor Augen geführt bekommen, um geläutert das Paradies zu erreichen? Vielleicht ist es kein Zufall, dass Ulrich Seidl „Im Keller“ im Anschluss an seine Paradies-Trilogie vollendet hat.
Das Hinabsteigen in die Erde, in die feuchte, kühle, aber nicht allzu kalte Erde, verweist nicht zuletzt auch auf die unauflösliche Verbindung zwischen Eros und Thanatos. Aus Mutter Erde kommt alles Leben und dorthin verschwindet es in der Regel auch wieder. Ob der (selbst-)destruktive Sado-Maso-Keller, der Waffen-und Jagdtrophäenkeller oder der NS-Devotionalienkeller, in dem der Protagonist voller Hingabe sein geliebtes Hitler-Porträt mit einem schwarz-gelb-roten Staubwedel entstaubt – in all diesen Räumen sind Szenarien eingebettet, die zwischen Liebe und Tod pendeln. Selbst die harmlos anmutenden älteren Paare erstarren in Ulrich Seidls Aufnahmen zu Figuren aus Wachs.
Wien, März 2016, Marcello Farabegoli
Programmhinweise:
Am 17. April eröffnet Martin Prinzhorn im raum I+II der Galerie die Ausstellung „Der Tatenmensch“ von Franz Kapfer.
SKANDALÖSE BILDER:
Intevention von Pablo Chiereghin und Denkaktion von Andrea Hubin & Karin Schneider am 8. April, 18 - 21 Uhr
Text zur Intervention & Denkaktion
ULRICH SEIDL
Ulrich Seidl wurde 1952 in Wien geboren und wuchs in Horn im Waldviertel auf. Er studierte an der Filmakademie Wien, sein Regiedebüt gab er 1980 mit dem Kurzfilm „Einsvierzig“. Ulrich Seidl wurde für Dokumentarfilme wie „Good News“, „Tierische Liebe“ und „Models“ mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. 2012 erhielt „Paradies: Glaube“ den Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen in Venedig. Schon Seidls erster Spielfilm „Hundstage“ war elf Jahre zuvor bei der genannten Biennale mit derselben hohen Auszeichnung bedacht worden.
2003 gründete er gemeinsam mit Veronika Franz die Ulrich Seidl Filmproduktion GmbH und tritt seitdem auch als Produzent seiner Filme auf – mit „Import Export“ war er 2007 im Wettbewerb der 60. Filmfestspiele von Cannes vertreten. Es folgte die „Paradies“-Trilogie (2012): „Paradies: Liebe“, „Paradies: Glaube“, „Paradies: Hoffnung“. Drei Filme, die innerhalb von vier Jahren entstanden sind und im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele von Cannes, Venedig und Berlin ihre Uraufführungen feierten. „Im Keller“ erlebte im August 2014 im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig seine Uraufführung.
Bisher hat Ulrich Seidl zweimal für das Theater gearbeitet: An der Volksbühne Berlin hatte 2004 sein Stück Vater unser Premiere, 2009 entwickelte und inszenierte Seidl für die Münchner Kammerspiele und die Wiener Festwochen „Böse Buben / Fiese Männer“ nach Texten von David Foster Wallace. Seine Fotoausstellung „Paradies: Liebe Glaube Hoffnung“ wurde 2013 in BAWAG PSK Contemporary in Wien, bei C/O Berlin sowie im Rahmen des Molodist International Film Festival in Kiew und im Rahmen des Monats der Fotografie in Bratislava gezeigt. Die Ausstellung „Stills 1998-2014“ wurde 2014/2015 bei OstLicht – Galerie für Fotografie in Wien und im Kunsthaus Köflach gezeigt.
Filmografie:
1980 Einsvierzig / 1982 Der Ball / 1990 Good News – Von Kolporteuren, toten Hunden und anderen Wienern / 1992 Mit Verlust ist zu rechnen / 1994 Die letzten Männer (TV) / 1995 Tierische Liebe / 1996 Bilder einer Ausstellung (TV) / 1997 Der Busenfreund (TV) / 1998 Spaß ohne Grenzen (TV) / 1998 Models / 2001 Hundstage / 2001 Zur Lage / 2003 Jesus, Du weißt / 2004 Vater unser, Aufzeichnung,Volksbühne Berlin / 2006 Brüder lasst uns lustig sein / 2007 Import Export / 2012 Paradies: Liebe / 2012 Paradies: Glaube / 2012 Paradies: Hoffnung / 2014 Im Keller
Pressekontakt
Mag. Marcello Farabegoli
www.marcello-farabegoli.net
info@marcello-farabegoli.net
Mobil + 43 660 143 52 54
* Es handelt sich um Kamerabilder aus dem Film “Im Keller” (2014): Kamera Martin Gschlacht aac; zusätzliche Kamera Hans Selikovsky aac; zweite zusätzliche Kamera Wolfgang Thaler aac.