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Takashi Ohno, Ohne Titel, 2011

Takashi Ohno, Ohne Titel, 2011

Städtisches Kunstmuseum Spendhaus, Reutlingen

Bild des Monats: Juni 2013
Sammlungsgebiet: Zeitgenössischer Hochdruck

Der japanische Holzschnitt, der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch im Westen viele Freunde gefunden und zeitweise die Kunst des Westens stark beeinflusst hat, war in Japan keineswegs ein exklusives, sondern eher ein weit verbreitetes populäres Medium. Bis ins 20. Jahrhundert warben Farbholzschnitte etwa für beliebte Reiseziele oder zeigten berühmte Schauspieler. So verwundert es nicht, dass auch heute noch in japanischen Printmedien immer wieder Holzschnitte auftauchen. Reproduktionen der sehr poetischen Holzschnitte von Takashi Ohno illustrieren zum Beispiel regelmäßig aktuelle Texte in der „Yomiuri Shimbun“, die mit ca. 14 Millionen Exemplaren als die auflagenstärkste Tageszeitung der Welt gilt.

Die beiden 2011 entstandenen Holzschnitte, die als „Bilder des Monats“ ausgewählt wurden, beziehen sich auf die beiden großen Katastrophen dieses Jahres: den durch das starke Seebeben vom 11. März ausgelösten Tsunami und die anschließenden Kernschmelzen in den Reaktoren von Fukushima. Die gleich nach den Katastrophen geschaffenen Blätter wurden allerdings bisher nicht veröffentlicht. Wie in den meisten Arbeiten des Künstlers sind anthropomorphe Katzen die Protagonisten der Szenen. Mit einem Schwert bewaffnet, stellen sich die Tiere in dem einen Blatt der Flutwelle und in dem anderen der Radioaktivität. Auch diese wird durch eine – allerdings gefährlich ihre Zähne fletschende – Katze verkörpert. Ohno bezieht sich in seinen Darstellungen auf verschiedene Motivstränge der populären Kultur Japans. So spielen vermenschlichte, meist verniedlichte Tiere dort in der Werbung oder in den weit verbreiteten japanischen Comics, den Manga, eine große Rolle. Die bekannteste japanische Comicfigur ist zum Beispiel die blaue Roboterkatze Doraemon. In Ohnos Blättern werden die Katzen durch ihre Schwerter gleichzeitig als Samurai gekennzeichnet, jene legendären Krieger, deren Heldentaten sich in den populären Medien ebenfalls großer Beliebtheit erfreuen. Die auffällige „Frisur“ der Katzen mit der freien Stelle auf der Stirn erinnert an die typische Chonmage-Frisur dieser Krieger. Nicht zuletzt verweist die bedrohliche Welle in demjenigen Blatt, das den Kampf gegen den Tsunami thematisiert, in ihren Konturen aber auch auf das in Japan vor allem durch 28 Filme sehr präsente Monster Godzilla. Bezeichnenderweise war es ein Atomtest, der dessen fiktives Erwachen auslöst.

Dieses Blatt nimmt darüber hinaus Bezug auf das sicher meist reproduzierte japanische Kunstwerk überhaupt, auf Hokusais (1760-1849) berühmten Farbholzschnitt mit der großen Welle von Kanagawa, den er in den 1830er-Jahren für seine Serie „36 Ansichten des Berges Fuji“ schuf. Auch in ihm wird eine Situation äußerster Gefahr geschildert: Die Welle scheint die beiden schlanken Boote im nächsten Moment zu verschlingen. In Stil und Technik unterscheiden sich Takashi Ohnos Arbeiten freilich stark von denjenigen Hokusais. Ohno beschränkt sich auf das reine Schwarzweiß und setzt bewusst auf den Kontrast zwischen heller, unbedruckter und schwarzer, bedruckter Fläche. Die Formen sind fast piktogrammartig vereinfacht. In beidem wirkt der Einfluss des bekannten Holzschneiders Yasunori Taninaka (1897-1946) nach, dessen Werke Ohno zu Beginn der achtziger Jahre kennen lernte und die ihn zum traditionsreichen Medium Holzschnitt führten. Auffällig ist daneben, dass – untypisch sowohl für die japanische Holzschnitttradition als auch für die Bildsprache der Manga – die Bearbeitungsspuren bewusst als Gestaltungsmittel eingesetzt werden und der Stockgrund zum Beispiel mitgedruckt wird. Dies hat der Künstler wohl von Taninaka übernommen, der stark vom expressionistischen Holzschnitt des Westens beeinflusst war.

Die Tatsache, dass der Künstler das internationale Notsignal SOS spiegelverkehrt abdruckt, ist nach seiner Aussage ein ironischer Kommentar zum Vorgehen der japanischen Regierung unmittelbar nach den Katastrophen. Insgesamt bringen Takashi Ohnos Bilderfindungen mit ihren verzweifelten, aber tapfer kämpfenden Katzengestalten diese für Japan existenzielle Krise eindrucksvoll auf den Punkt.

Herbert Eichhorn
Direktor des Kunstmuseums Spendhaus

 

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